Am Anfang bewusster Bildgestaltung steht eine Bildidee, die Antwort auf die Frage „Was will ich mit meinem Bild aussagen?“. Sie hilft dir, zu entscheiden, was ins Bild gehört und was nicht. Sie gibt deiner Bildgestaltung eine Richtung und hilft dir, bewusst zu gestalten, anstatt zufällig zu fotografieren.
Ein gutes Bild beginnt im Kopf – mit einer Idee, einer Vorstellung, was ein Foto ausdrücken soll. Sie gibt der Bildgestaltung eine Richtung, ein Ziel. Du kannst es bewusst umsetzen und verlierst dich nicht in den zahllosen unterschiedlichen Möglichkeiten, ein Motiv aufzunehmen. Und du kommst dahin, weniger bessere Fotos anstelle von vielen zufälligen zu produzieren.
„Was will ich mit meinem Bild aussagen?“ ist meiner Meinung nach am hilfreichsten, um sich klar zu werden, was für das spätere Bild wichtig ist. Wer es passender findet, könnte ähnlich fragen:
Wichtig ist, dass die Antwort konkrete Eigenschaften beschreibt, die dein Motiv interessant machen und daher in der Bildgestaltung möglichst klar zum Ausdruck kommen sollen. Nur das Motiv zu nennen, genügt nicht.
Ein markanter Baum, tagsüber bei einem Spaziergang im April aufgenommen, als er noch kein Laub trug. Was genau macht ihn interessant? Unter anderem seine Form mit den massiven Ästen, die sich wie riesige Arme nach oben und über den See strecken.
Am selben Tag abends bei Dämmerung aufgenommen, erscheint er als schwarze Silhouette. Das reduziert den Baum auf seine Umrisse, die bizarre Form kommt noch besser zum Ausdruck. Gleichzeitig gibt der tiefblaue Abendhimmel einen schönen Hintergrund.
Es gibt andere Aspekte an dem Baum, die man als Bildidee aufgreifen kann, zum Beispiel wie die Äste fächerartig aus dem massigen Stamm herauswachsen. Das siehst du im nächsten Bild, einen Monat später fotografiert, als der Hintergrund bereits grün war. Ohne das Laub hätte der Baum vor recht unansehnlichem Gestrüpp gestanden.
Es könnte auch Bildaussage sein, die die Struktur und Schattierungen der Rinde zu zeigen oder wie einzelne Äste über den See ragen. Das führt zu anderen Bildideen und deutlich anderen Fotos vom selben Motiv. Es sind weitere mögliche Antworten auf die Frage nach der Bildidee.
Hier ein Urlaubsfoto: Der große Markt in Marrakesch, von einer Terrasse über dem Markt bei Abenddämmerung aufgenommen. Genau das ist die Bildaussage: Der orientalische Markt bei Abenddämmerung.
Vom gleichen Ort Sekunden später aufgenommen ist dieses zweite Bild. Es hat eine ganz andere Aussage: Das Mädchen im Vordergrund betrachtet neugierig den orientalischen Markt. Das Geländer und ein Stück der Markise oben machen deutlich, dass wir uns auf einer Terrasse darüber befinden.
Wenn du ein solches Foto selber aufgenommen hast, ist es eine persönlichere Erinnerung als der Markt alleine, erst recht natürlich, wenn die Personen darauf vertraut sind. Für andere, unvoreingenommene Betrachter erzählt es eine ganz andere kleine Geschichte als der Markt alleine.
Auch das erste der drei Baumfotos oben ist bereits ansprechend, aber nichts Besonderes. Eine Aufnahme, die den Baum im Ganzen zeigt, wie man ihn bei einem Spaziergang sieht. Die anderen beiden betonen einzelne Aspekte, sind auf das Wesentliche einer bestimmten Bildaussage reduziert.
Die beabsichtigte Bildaussage wird umso klarer, je weniger andere Bildelemente vorhanden sind. Und je klarer die Bildaussage ist, desto besser wird dein Foto. Wenn ein Betrachter in dem Bild etwas ganz anderes erkennt oder sich fragt, worum es geht, weil alles mögliche andere auf dem Bild zu sehen ist, ist es kein gelungenes Bild.
Es ist wie beim Erzählen: Wer in kurzen, klaren Sätzen spricht, wird besser verstanden.
Praktisch bedeutet das: Vereinfache dein Bild; lass weg, was nicht dazugehört. Die Frage „Was kann ich weglassen?“ ist wichtiger als die Überlegung „Was kann ich noch mit ins Bild nehmen?“.
Erfahrungsgemäß ist es weit häufiger, dass mit wenig Überlegung aufgenommene Bilder besser werden, wenn man etwas wegnimmt. Vergleiche selbst die beiden Fotos vom schlafenden Kater Fred.
„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht dicht genug dran.“ ist ein gern zitierter Ausspruch des berühmten Fotografen Robert Capa. Man muss das nicht so wörtlich nehmen wie er – Robert Capa war Kriegsfotograf und ist am Ende dabei umgekommen. Aber es steckt viel Wahrheit und Erfahrung in dem Zitat, auch für ungefährliche alltägliche Fotografie.
Das Reduzieren kann sogar dazu führen, das Hauptmotiv selbst anzuschneiden und Teile von ihm wegzulassen. Gut zu sehen ist das z.B. bei Personenbildern und Porträts, wo Teile des Kopfes fehlen, weil sie nicht wichtig für den Gesichtsausdruck sind. Der engere Ausschnitt betont dann die Augen und Mimik.
„Reduzieren auf das Wesentliche“ bedeutet allerdings nicht, dass du alle Bilder rigoros auf ein Hauptmotiv beschneiden solltest, es kann auch das Umfeld wichtig für die Bildaussage sein. „Dichter ran“ ist auch keine Regel, die du stur befolgen solltest, manche Motive brauchen viel Raum um sich herum – wenn es die beabsichtigte Bildaussage unterstützt, z.B. bei einem einsam in weiter Landschaft stehenden Baum. Es kommt auf das richtige Maß an.
Deshalb siehst du hier ein weiteres Baumfoto, das mehr Landschaft drumherum zeigt. Es geht in diesem Foto nicht um den Baum alleine, sondern auch darum, wie er früh an einem Wintermorgen auf einer verschneiten Wiese steht, in noch kaltem, bläulichen Licht. Man kann auch die morgendliche Schneelandschaft selber, mit dem geschlängelten Weg und dem freistehenden Baum darin als Thema des Bildes sehen. Dieses Bild braucht mehr Platz um den Baum herum, weil das Umfeld wesentlich für die Bildaussage ist.
Deine Überlegungen zur gewünschten Bildaussage sollten zu einer möglichst klaren Vorstellung führen
Damit entsteht auch eine erste Vorstellung, wie viel Vorder- und Hintergrund ins Bild soll – ein ungefährer Bildausschnitt und ein Ansatz für die Bildaufteilung.
All diese Überlegungen sind entscheidend für die spätere Bildwirkung. Und, ganz wichtig:
Gute Fotos brauchen aufmerksames Beobachten, Geduld und Gedanken, die Kamera ist demgegenüber zweitrangig.